Spielbank, die Zweite!

Geschrieben am 16.03.2015 von Ulrich Geilmann

Vorletzte Bundeslia-Doppelrunde in Dortmund

„…Ich weiß, es wirrrd einmal ein Wunderrr geschähn und dann werden alle Märrrchen wahrrr!...“. Ob das Absingen derlei deutschen Liedgutes tatsächlich etwas bewirkt, sei mal dahin gestellt; vor allem wenn ich das trällere. Doch wenn die tatsächlichen Chancen, die Klasse zu halten, nahezu gegen Null tendieren, ergreift man jede Chance, bis hin zum Gebrauch einer Voodoo-Puppe.

Die Ausgangsbedingungen waren jedenfalls klar. Um den Klassenerhalt zu sichern wären wenigstens noch 5 Mannschaftspunkte erforderlich. Statistische Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der in diesem Zusammenhang relevanten Elozahlen: so um die 1 %. Also: Mission impossible, aber wer ab und zu ein Kino besucht, weiß, dass unter Umständen selbst die unmöglichsten Aufgaben gelöst werden können.

Also galt es Optimismus zu verbreiten und auf das Beste zu hoffen. Das vorgesehene Team, bestehend aus GM Ilja Zaragatski, GM Sebstian Siebrecht, IM Lawrence Trent, IM Robert Ris, IM Dr. Christian Scholz, IM Matthias Thesing, WGM Sarah Hoolt und FM Timothee Heinz, hatte mir jedenfalls versprochen, alles zu versuchen. Außerdem gelang es mit GM Evgeny Romanov einen Joker zu akquirieren, den wir Samstag ziehen wollten.

Die Anreise verlief heuer in zwei Gruppen: Während Timo, Matthes und Evgeny bereits am Freitag ankamen, wollte der Rest vom Fest sich erst am Samstag einfinden. Gleichwohl war’s ein nettes Teamdinner, zu dem sich auch Sebastian und einer der Herbergsväter, Dr. Reinhard Kennemann, gesellten. Außerdem feierte Timo seinen Geburtstag!

Ich bin danach dann gleich nach Dortmund durchgefahren. Mein Mannschaftsführerkollege Andreas Warsitz hatte mich wieder im Landhaus Syburg einquartiert, damit ich mir die ellenlange Fahrerei an den Niederrhein ersparen konnte.

Die Nacht zum Samstag war schlaftechnisch eher durchwachsen. Nach dem Frühstück erhielt ich dann zunächst einen Anruf von Lawrence, der mir mitteilte, dass er inzwischen zusammen mit Ilja am Dortmunder Hauptbahnhof angekommen sei. Während Ilja die Zeit nutzte, um sich einen neuen Haarschnitt verpassen zu lassen, versuchte Lawrence eine günstige Fahrgelegenheit zur Spielbank, unserer Turnierstätte, zu finden. Da das wiederum nicht ganz so einfach war, bot ich an, die Schäfchen abzuholen.

Übrigens wurden wir diesmal wieder von unserem bayrischen Edelfan Heidi Saller begleitet, die extra aus Lübeck angereist war. Das nenn ich Teamtreue. Heidi, die ebenfalls in dem Hotel wohnte, ließ es sich dann auch nicht nehmen, mit zum Bahnhof zu kommen, wobei wir unterwegs noch bei einem Einzelhändler stoppten, um einige alkoholhaltige Getränke einzuholen, die an diesem Wochenende noch eine gewisse Rolle spielen sollten.

Nach einem kleinen Intermezzo liefen uns dann die beiden Helden über den Weg und wurden ohne viel Federlesen eingesammelt. Kaum im Auto, begann ein wildes Argumentationsstakkato über die Vor- und Nachteile einer gemüsereichen Ernährung für Kinder. Fragen Sie mich bitte jetzt nicht wieso das überhaupt ein Thema war.

Am Hotel angekommen, setzten die Schachmeister ihre neue Erkenntnisse dann aber gleich eloquent in die Tat um, und gingen zum Essen. Vermutlich, um sich nun ein paar Steaks reinzupfeifen!

Inzwischen begab ich mich zum Spielsaal, der wie immer perfekte Rahmenbedingungen bot. Kaum dort ankommen, trudelten auch schon Sarah und Robby ein, die von Prof. Dr. Bruno Müller-Clostermann begleitet wurden, der diesmal die ehrenvolle Aufgabe übernommen hatte, für die beiden Chauffeur und Hoteldirektor zu spielen.

Das Team komplettierte sich dann schnell. Sebastian, Evgeny, Matthias und Timo kamen in schneller Folge und begannen mit den letzten Vorbereitungen. Von Lawrence hörte ich, dass sich Ilja noch schnell einen kleinen Schönheitsschlaf gönnte.

Wie auch immer, um 13.30 Uhr war jedenfalls klar, dass wir für das erforderliche Wunder hart würden arbeiten müssen:

Brett SF Katernberg - Turm Emsdetten
1 Romanov - Swiercz
2 Zaragatski - Spoelmann
3 Trent - Pruijssers
4 Siebrecht - van Foreest
5 Ris - Janssen
6 Hoolt - Zumsande
7 Thesing - Fiebig
8 Heinz - Richter

Nach der Teamnominierung hielt das Dortmunder Urgestein Gerhard Kolbe eine kurze aber sprachgewandte Eingangsrede. Kolbe ist übrigens der Conférencier des Sparkassen Chessmeetings, vormals bekannt als Dortmunder Schachtage. Ich hatte ihn vorher gebeten, Timothée noch mal zum Geburtstag zu gratulieren und ihm dabei den zuvor besorgten Sekt zu überreichen. So geschah es dann auch, was den stets bescheiden auftretenden Strasbourger sichtlich überraschte.

Ansonsten haben Bundesligabegegnungen für mich im Regelfall so etwas wie Klassentreffencharakter. Respekt und humorvolles Aufziehen halten sich die Waage. Man kennt halt seine Pappenheimer, angefangen von Schiri Jürgen Göldenboog bis hin zu Reinhard Lüke, der die Emsdettener Mannschaft führt.

Meine ersten Kontrollgänge, die ich üblicher Weise um 15.00 Uhr und eine Stunde später einstreue, hätte ich mir eigentlich sparen können. Wie üblich solides Abtasten ohne große Sperenzchen.

Danach wurde es jedoch von Minute zu Minute spannender. Vor allem Sebastian, Robby und Sarah sorgten dabei durch eine jeweils kompromisslose Spielführung für eine gewisse Dramatik. Doch wie schnell hat man sich bei sowas verzockt! Ein wenig Sorge bereitete mir auch der relativ hohe Zeitverbrauch von Matthias, wenngleich das angesichts der relativ vereinfachten Stellung vielleicht noch nicht so schlimm war.

Tja. Sebastian gewann nachfolgend zwar zunächst tatsächlich zwei Bauern, aber sein junger Gegner fand danach einen dynamischen Weg, das eingesetzte Material mit Qualitätsgewinn zu verzinsen. Das Ergebnis sah zumindest zweischneidig aus.

Etwas später verfiel auch Evgeny in tiefes Nachdenken, was seine Restbedenkzeit arg strapazierte. Hier drohte ein Aufbruch des Damenflügels nebst Angriff auf seinen lang rochierten König. Da kann man schon mal ins Grübeln kommen.

Das erste Ergebnis ergab sich bei Ilja. Die Partie bot zunächst beiderseitige Chancen und mündete in ein mehr oder weniger ausgeglichenes Mittelspiel. Insofern war das Remis letztlich durchaus konsequent (0,5-0,5).

Timo hatte in seiner Partie ebenfalls komplexe Probleme zu lösen. Doch er löste diese Herausforderungen mit der gewohnten Ruhe und Sicherheit. Letztlich ging auch dieses Unentschieden in Ordnung (1,0-1,0).

Kurz vor der Zeitkontrolle hatten Evgeny, Sebastian, Robert und Matthias schwierige Stellungen, wobei sich aber eigentlich nur an Brett 1 ein Zeitnotduell anbahnte. Evgeny kostete das nachfolgende Drama dann auch schnell die Qualität.

Während dessen streckte Matthias die Waffen. Emsdetten ging – so viel war jetzt bereits einzuräumen – verdient in Führung (1,0-2,0).

Nach 18.00 Uhr ergab sich insoweit nach meiner subjektiven Einschätzung folgendes Bild:

  • Evgeny – Qualität weniger. Stellung platt.
  • Lawrence – Mehrbauer im Turmendspiel. Vielleicht Gewinnoptionen.
  • Sebastian – Qualle weniger. Wohl eher Verluststellung. Doch wir kennen ja seine Fähigkeiten, auch solche Partien noch irgendwie zu retten.
  • Robby – Endspiel mit zwei Minusbauern. Das würde keinesfalls reichen.
  • Sarah – Schwierig einzuschätzende Position. Falls es ihr gelingen würde, den in der Luft liegenden Qualitätsgewinn optimal umzumünzen vielleicht sogar ein ganzer Punkt möglich.

Das sah insgesamt betrachtet nicht gut aus und wie erwartet, gab kurz danach zunächst Robby auf (1,0-3,0).

Um 18.30 Uhr erwiesen sich selbst die kleinen Schwindelchancen an Brett 1 als reine Fiktion. Evgeny schob sichtlich entnervt die Figuren zusammen. Damit war der Kampf praktisch gelaufen (1,0-4,0).

Nach dem Remis bei Lawrence um 19.25 Uhr durch Zugwiederholung (1,5-4,5) waren die restlichen Partien insoweit nur noch für die Galerie.

Es folgte noch ein „Schwindelremis“ bei Sebastian um 19.30 Uhr (2,0-5,0) und eine schmerzliche Niederlage von Sarah (2,0-6,0), die ihre Chancen leider eben nicht wahren konnte.

Hier nochmal die Einzelergebnisse in Zeitlupe:

Brett SF Katernberg - Turm Emsdetten 2 : 6
1 Romanov - Swiercz 0 : 1
2 Zaragatski - Spoelmann ½ : ½
3 Trent - Pruijssers ½ : ½
4 Siebrecht - van Foreest ½ : ½
5 Ris - Janssen 0 : 1
6 Hoolt - Zumsande 0 : 1
7 Thesing - Fiebig 0 : 1
8 Heinz - Richter ½ : ½

Insofern herzliche Glückwünsche nach Emsdetten.

Die Stimmung nach dieser Niederlage gab nicht unbedingt Anlass, fröhliche Gespräche zu führen. Es dauerte dann auch eine ganze Zeit, bis die Spieler und die kleine Betreuerschar auftaute. Dann wurde es aber ein noch relativ unterhaltsamer Abend. Wir hatten auf Vermittlung unseres Reisepartners, der knapp am 4 : 4 gegen Werder vorbeischrammt war, wieder einmal im Restaurant der Spielbank gebucht. Das Pauschalbuffet war preisgünstig, gut und reichhaltig. Diesmal verzichtete ich allerdings auf die Auster. Dafür zog sich Sarah gleich drei dieser Glibberteile rein. Über diese Reize bin ich gottseidank hinaus!

Der nächste Morgen führte uns dann alle wieder recht früh in den Spielsaal. Wir hatten, wie angedeutet, umgestellt. Evgeny, der aufgrund anderer Verpflichtungen bereits um 10.00 Uhr seinen Flieger erwischen musste, raus und dafür Christian, der ursprünglich eigentlich für beide Spiele vorgesehen war, rein.

Damit ergab sich folgende Begegnung:

Brett Werder Bremen - SF Katernberg
1 Fressinet - Zaragatski
2 Edouard - Trent
3 Efimenko - Siebrecht
4 Hracek - Ris
5 Babula - Scholz
6 Bluebaum - Hoolt
7 Markgraf - Thesing
8 Meins - Heinz

Bremen, das in der Vortagesaufstellung spielte, wird diesen Spielwechsel und die daraus erwachsene Verschiebung innerhalb der Aufstellung nicht erwartet haben, von daher ging ich davon aus, dass zumindest die Vorbereitung der Bretter 1 – 5 durcheinander war. Außerdem gab es was zu feiern. Christian spiele heute nämlich seine 100. Bundesligapartie und wurde dafür von mir mit einer Pulle Sekt versorgt! Wir vereinbarten aber, dass er die Flasche während der laufenden Partie nur im äußersten Notfall öffnen oder dem werten Gegner über den Schädel schlagen sollte.

Aus der Eröffnungsphase heraus war spielte Sarah wohl die schwierigste Partie. Sie hatte nach einer guten Spielstunde nach einem Läuferopfer ihres Gegners auf h7 eigentlich schon keine besonders gute Stellung mehr.

Dann ereilte mich die Nachricht, dass einer unserer Schlachtenbummler gestern wohl irrtümlich seine Rechnung offen gelassen hatte. Um ihn der Kerkerhaft zu entreißen, ließ ich mir erstmal diese Rechnung geben und sorgte für einen entsprechenden Fiskalausgleich aus der Mannschaftskasse. Der Schuldeneintreiber der Spielbank sah im Übrigen aus wie Don Vito und ich hatte nun keinesfalls die Absicht, mich auf eine Diskussion mit dem örtlichen Syndikat einzulassen.

Der Spielverlauf war bis 12.00 Uhr weitestgehend unspektakulär, so dass ich es mir erlauben konnte, einmal ein wenig zu entspannen. Vorher galt es aber leider noch, Sarahs Verlust entgegen zu nehmen (0,0-1,0). Inzwischen endete auch die Partei von Timo mit dem für ihn schon üblichen Betonremis (0,5-1,5). Vielleicht sollten wir ihm gelegentlich mal verraten, dass man bei diesem Spiel durchaus auch mal gewinnen kann!

Vor der Zeitkontrolle musste ich mir zuerst eigentlich nur Sorgen um Lawrence machen, der ein wenig seiner Bedenkzeit nachlief und insoweit seine und meine Nerven massierte. Allerdings waren die Zeitverbrauchsdaten auch an einigen anderen Brettern durchaus bemerkenswert hoch. Zu diesem Zeitpunkt hatte Sebastian zwei Bauern weniger und seine Stellung sah nicht danach aus, dass das noch irgendwie zu kompensieren war. Aber ansonsten wehrten wir uns aber ganz prächtig.

Zwischendurch galt es mit Herrn Resch noch eine Schachpersönlichkeit der besonderen Art zu begrüßen. Resch war mit seiner Firma U.E.P. einer Organisatoren der Schachweltmeisterschaft 2008 zwischen Anand und Kramnik in der Bundeskunsthalle Bonn, die mir immer aufgrund meiner Besuche immer noch recht gut in Erinnerung ist.

Nachdem das Team und ich die Zeitnotphase durchlitten hatten, sah ich immer noch einen recht interessanten Kampfverlauf. Sicher, hier und da fehlten auf den Brettern vielleicht Bäuerchen, doch in Summa hatte ich in dieser Saison schon weitaus schlimmere Zwischenstände vermelden müssen:

  • Ilja – ziemlich klare Verluststellung.
  • Lawrence – keine ausreichende Kompensation für das fehlende Material.
  • Sebastian – remisliches Turmendspiel. Er hatte sich tatsächlich wieder konsolidiert.
  • Robert – technisch gewonnenes Springerendspiel.
  • Christian – Verluststellung aufgrund eines weit vorgerückten Freibauern.
  • Matthias – ausgeglichene Endspielstrukturen.

Insoweit war der kurz danach eintretende Partieverlust am Jubiläumsbrett keine wirkliche Überraschung mehr (0,5-2,5). Gleiches galt für das hart erkämpfte Remis an Sebastians Brett (1,0-3,0).

Kurz danach gab auch Ilja auf (1,0-4,0). Da half insoweit auch kein Alkohol mehr!

Wenigstens auf Robby war verlass. Er ließ seine Gewinnstellung nicht mehr entgleiten (2,0-4,0). Allerdings ergab sich kurz danach Lawrence in sein Schicksaal, so dass wiederum zwei Mannschaftspunkte irgendwie auf der falschen Seite landeten (2,0-5,0). Aus die Maus!

Blieb noch Matthias, dessen Stellung zwar immer noch ausgeglichen war, dessen Restbedenkzeit aber knapp zu werden drohte. Insoweit konnte er sich eigentlich nur selbst in die Luft sprengen. Kaum gedacht, war das Malheur auch schon passiert (2,0-6,0).

Der Wettkampf in der Übersicht:

Brett Werder Bremen - SF Katernberg 6 : 2
1 Fressinet - Zaragatski 1 : 0
2 Edouard - Trent 1 : 0
3 Efimenko - Siebrecht ½ : ½
4 Hracek - Ris 0 : 1
5 Babula - Scholz 1 : 0
6 Bluebaum - Hoolt 1 : 0
7 Markgraf - Thesing 1 : 0
8 Meins - Heinz ½ : ½

Glückwunsch nach Bremen und Adieu 1. Liga! Den Schlussakkord erleben wir dann in Schwäbisch Hall!

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